5. Friday Night Talk: #Wirsindmehr ?

An unserem letzten Friday Night Talk beschäftigten wir uns mit dem Hashtag „Wir sind mehr“, der in Folge der rechten Demonstrationen in Chemnitz entstand. Unter diesem Hashtag wurde auch ein spontanes Konzert veranstaltet, bei denen Bands wie die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet, K.I.Z. und Marteria auftraten, um Spenden zu sammeln und ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. 65 000 Menschen nahmen an diesem Konzert teil. Aus welchem Antrieb, sei erstmal dahingestellt, ob primär aus Prostest gegen Rechts oder der Musik wegen. Der Sinn und Zweck hinter Konzert und Hashtag wurde vielfach hinterfragt. Bewirkt der Hashtag das, was er soll?
Nach einigen Tagen verschwand er wieder von den Plattformen und tauchte nur noch sporadisch auf, die Medien berichten zu rechten Demonstrationen mehr als zu #wirsindmehr.

An diesem Hashtag scheiden sich die Geister. So wird von der Verwendung des Hashtags als „Maßnahme zur Selbstwerterhaltung“ gesprochen oder von der Verwendung aufgrund bloßer Selbstdarstellung. Wer gegen rechts sei, müsse, gerade in diesen Zeiten, auch auf die Straße gehen und nicht vom Sofa aus einen Hashtag teilen oder ihn über das eigene Profilbild legen. Verfechter sprechen dennoch von einer gewissen Medienwirksamkeit. Allein, um auch sozialen Netzwerken den Fokus auf die „linke“ Bewegung zu lenken und zu zeigen, dass eben diese existiert, sei Grund genug. Schließlich brachte diese Bewegung 65.000 Menschen auf das spontan organisierte Rockkonzert, das als Gegenveranstaltung zu den Demonstrationen in Chemnitz gedacht und für Toleranz, Offenheit und Demokratie stehen sollte.

Doch warum ist eine Gegenbewegung überhaupt nötig, wo kommen all die rechten Demonstrationen her? Von Unzufriedenheit? Angst vor Veränderungen, die einen abhängen? Die „Inhaltslosigkeit“ der Berliner Politik ist für viele fast schon greifbar. Eine Chance wäre es gewesen, den Schwung von #wirsindmehr zu nutzen, um das eigene Image aufzubessern und sich eindeutig zu positionieren, die die Bundesregierung leider vertat.  Ganz im Gegenteil, schadete die in die Länge gezogene Debatte rund um Verfassungsschutzchef Maaßen mehr, als dass sie Veränderung in der Politik repräsentierte. Eine Veränderung in der Politik wird von vielen Seiten gefordert, eben auch von der rechten. Doch sind die Vorstellungen darüber, wie diese Veränderung konkret aussehen soll, derart verschieden. Es scheint, als empfänden immer mehr Menschen die Demokratie mit ihrem Anspruch, Kompromisse zwischen den unterschiedlichsten Menschengruppen zu finden, nicht mehr als Geschenk, sondern mehr und mehr als Last. Was macht Politik falsch, dass der Wunsch nach „Ruhe“ im Land den der Einhaltung von Menschenrechten übertönt? Politikverdrossenheit ist ein Stichwort. „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“, „Digitalisierung“, „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ – hinter diesen sehr abstrakten Wahlslogans kann sich Alles und Nichts verbergen. Fehlt der Bevölkerung das „Konkretisieren“ von Ideen und Lösungsvorschlägen? Immerhin wurde eine Partei in den letzten Jahren – zumindest was das Thema Migration und Flüchtlinge angeht – doch sehr konkret; ist es das, was sich Menschen wünschen? Die CSU schien diese scheinbar gut funktionierende Strategie im bayerischen Landtagswahlkampf für sich nutzen zu wollen – doch fuhr sie das schlechteste Ergebnis seit Jahren ein. Unterscheiden sich Wählergruppen der Parteien etwa  dahingehend, was sie von eben diesen hören wollen? Wollen die einen inhaltlich überzeugt, andere durch einfache Lösungsvorschläge abgeholt werden?

Was oft angesprochen wurde, ist unsere Verantwortung. Die Verantwortung der Politik, zuzuhören, Probleme anzugehen, Menschen in den politischen Diskurs zur Lösungsfindung mitzunehmen. Und die Verantwortung jedes Einzelnen, für unsere Demokratie und unsere freiheitliche Grundordnung gegen Bedrohungen aus Extremen einzustehen.

50 000 Menschen bei #Hambibleibt, 30 000 bei #wellcomeunited,100 000 bei der #Seebrücke in ganz Deutschland, 65.000 bei #wirsindmehr, 40 000 bei #nopeg und #ausgehetzt. Ja, wir scheinen tatsächlich mehr zu sein.